Faktencheck

Nein, Ukrainer bekommen in Deutschland nicht generell ein Auto vom Jobcenter

Ein Autohändler in Niedersachsen berichtet, ein ukrainischer Kunde habe ein Auto im Wert von 1.650 Euro vom Jobcenter geschenkt bekommen. Er behauptet, dass sei eine Leistung für Ukrainer, die Deutsche nicht bekommen können. Das stimmt nicht.

von Gabriele Scherndl

vw-passat
Eine Person aus der Ukraine soll vom Jobcenter einen VW Passat im Wert von 1.650 Euro bezahlt bekommen haben, heißt es in einem Tiktok-Video. (Quelle: Ole Spata / DPA / Picture Alliance)
Behauptung
Ukrainer bekämen im Gegensatz zu Deutschen Fahrzeuge vom Jobcenter geschenkt. Ein Ukrainer habe einen VW Passat für 1.650 Euro gekauft, bezahlt worden sei das vom Jobcenter Rotenburg.
Bewertung
Teilweise falsch
Über diese Bewertung
Teilweise falsch. Laut der Rechnung des Autohändlers übernahm nicht das Jobcenter Rotenburg, sondern die Bundesagentur für Arbeit die Kosten für das Auto. Die Bundesagentur schreibt uns, eine solche Kostenübernahme sei denkbar. Diese können aber unter gewissen Umständen all jene Personen bekommen, die Arbeitslosengeld oder Bürgergeld beziehen, auch Deutsche.

„Schmeiß deinen deutschen Ausweis weg, komm wieder her und sag, dass du aus der Ukraine geflüchtet bist“, sagt ein Mann in einem Tiktok-Video. Er stellt sich als Autohändler aus einer Kleinstadt bei Bremen vor und erzählt von einem Erlebnis, das offenbar viele wütend macht: Ein Ukrainer habe bei ihm ein Auto gekauft, einen VW Passat für 1.650 Euro – doch bezahlt habe dafür das Jobcenter Rotenburg, sagt er. Eine Rechnung, die er zeigt, soll das belegen. 

„Das kann doch nicht wahr sein“, kommentiert eine Nutzerin, Deutsche würden wieder nichts bekommen, schreiben andere. Von dem Einzelfall zieht der Autohändler die Schlussfolgerung: „Ukrainer kriegen in Deutschland Fahrzeuge vom Jobcenter geschenkt.“

Der Ersteller des Videos hat seinen Beitrag mittlerweile gelöscht, über eine Million Nutzerinnen und Nutzer sahen ihn bis dahin. Auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck schreibt er, ihm sei ein Fehler unterlaufen. Doch sein Video kursiert vielfach weiter, andere Nutzerinnen und Nutzer teilten das Video oder die Audiospur als sogenanntes Duett oder veröffentlichten Auszüge davon. Diese landeten auch auf Facebook und X. Leserinnen und Leser schickten es auch an CORRECTIV.Faktencheck mit der Bitte um Überprüfung.

Unsere Recherche kann den Einzelfall aus Niedersachsen nicht abschließend belegen. Doch klar ist: Das Tiktok-Video führt in die Irre, denn es suggeriert, dass nur speziell Ukrainer Autos vom Jobcenter finanziert bekommen können. Das stimmt nicht. 

Screenshot aus einem Tiktok-Video. Zum einer Rechnung heißt es: "Jobcenter bezahlt das Auto für Ukrainer".
Dieses Video kursiert vielfach auf Tiktok – obwohl der Ersteller es bereits gelöscht hat (Quelle: Tiktok; Screenshot und Schwärzung: CORRECTIV.Faktencheck)

Autos können eine Leistung für Menschen sein, die Bürgergeld- und Arbeitslosengeld beziehen

Rotenburg (Wümme) in Niedersachsen liegt nicht weit vom Standort des Autohändlers entfernt. Christine Huchzermeier, Pressesprecherin des Landkreises, schreibt auf Anfrage von CORRECTIV.Faktencheck: Das Jobcenter des Landkreises habe das Auto nicht bezahlt, es habe auch keine Überweisung des Landkreises an dieses Autohaus gegeben. 

Huchzermeier schreibt aber auch: „Grundsätzlich ist es möglich, dass ein Jobcenter im Wege einer Beschäftigungsaufnahme Fahrzeuge fördern. Diese Möglichkeit besteht für alle Kunden des Jobcenters und ist als Förderinstrument im SGB II (Jobcenter) und SGB III (Bundesagentur für Arbeit) vorgesehen, um Kunden eine Arbeitsaufnahme zu ermöglichen.“

Tatsächlich steht auf der Rechnung, die im Tiktok-Video zu sehen ist, nicht das Jobcenter Landkreis Rotenburg, sondern die Bundesagentur für Arbeit. Dort heißt es auf Anfrage, man könne den konkreten Fall weder bestätigen noch dementieren. So eine Konstellation sei aber denkbar, schreibt Sarah Kipp, Pressesprecherin der Bundesagentur für Arbeit.

Es geht dabei um Leistungen aus dem sogenannten Vermittlungsbudget, die Personen beantragen können, die Arbeitslosengeld oder Bürgergeld beziehen. Als Beispiel für solche Leitungen nennt Kipp Fahrtkosten zu Vorstellungsgesprächen oder Bewerbungskosten – und unter bestimmten Umständen auch ein Auto. Etwa, wenn der Arbeitsort eines Jobs, den die Person in Aussicht hat, nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar ist. Das ist auch in den Fachlichen Weisungen zum Zweiten und Dritten Sozialgesetzbuch (SGB II und SGB III), die Bürger- und Arbeitslosengeld regeln, festgeschrieben. 

Leistungen stehen Menschen aus der Ukraine gleichermaßen wie Deutschen zu

Diese Leistungen können aber nicht nur Menschen aus der Ukraine beantragen – wie auf Tiktok behauptet wird – sondern generell alle, die Arbeitslosengeld oder Bürgergeld beziehen. Die Leistung ist nicht davon abhängig, woher die Person kommt, auch Menschen aus anderen Ländern und Deutsche können sie beantragen. 

Auf der Webseite der Bundesagentur für Arbeit ist nachzulesen: Auf Arbeitslosengeld – und damit gegebenenfalls auf Leistungen aus dem Vermittlungsbudget – haben Bürgerinnen und Bürger aus der EU oder dem Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) sowie der Schweiz und alle mit einer gültigen Aufenthaltserlaubnis Anspruch. Beim Bürgergeld sind die Regeln ähnlich.

Die Ukraine ist aktuell weder Mitglied in der EU noch im EWR, Geflüchtete aus der Ukraine bekommen aber in Deutschland einen Aufenthaltstitel und können daher reguläre Sozialleistungen erhalten.  

Einen Rechtsanspruch auf Förderungen, wie zum Beispiel von Autos, gebe es nicht, schreibt Kipp. Außerdem müssten die zu erwartenden Kosten „angemessen“ sein, in der Regel würden nicht die vollen Kosten übernommen, sondern ein Zuschuss gewährt. Auch für Reparaturen oder etwa TÜV-Überprüfungen müssten die Personen in der Regel selbst aufkommen.

Fazit: Das Video auf Tiktok erweckt also fälschlicherweise den Eindruck, für Menschen aus der Ukraine würden generell die Kosten für ein Auto übernommen oder gefördert. Tatsächlich ist das nur unter bestimmten Umständen möglich und eine Leistung, die auch deutsche Staatsbürgerinnen und -bürger sowie Personen aus anderen Ländern bekommen können.

Einen Überblick mit allen Faktenchecks von uns zum Krieg in der Ukraine finden Sie hier.

Redigatur: Kimberly Nicolaus, Alice Echtermann

Die wichtigsten, öffentlichen Quellen für diesen Faktencheck:

  • Fachliche Weisungen SGB II, 20. September 2017: Link (PDF, archiviert)
  • Förderung aus dem Vermittlungsbudget gemäß § 44 SGB III Fachliche Weisungen, 16. Mai 2023: Link (PDF, archiviert)
  • Finanzielle Unterstützung in Deutschland, Bundesagentur für Arbeit, abgerufen am 29. April 2024: Link (archiviert)